- Tell
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Tẹll[arabisch »Hügel«], Tạll, persisch Tẹpe, türkisch Hüyụ̈k, Bezeichnung für die vorderasiatischen Ruinenhügel aus übereinander abgelagerten Siedlungsresten (vielfach Lehmziegelbauten) verschiedener Zeitstufen.Tẹll,Wilhelm, der Held der bekanntesten Schweizer Sage, ein Jäger aus dem Urner Dorf Bürglen. Er wird vom habsburgischen Landvogt Geßler gezwungen, einen Apfel vom Kopf des eigenen Sohnes zu schießen. Die Figur des mythischen Jägers, der auf sein Kind schießen muss, findet sich u. a. in der germanischen Wieland-Sage, in der dänischen Sage von »Palnatoki« bei Saxo Grammaticus unter dem Namen Toko, in der altnordischen »Thidrekssaga« als Egill; die englische Sage um die Gestalt des William of Cloudesley kennt ebenfalls dieses Motiv. - In der Zentralschweiz taucht die Sage im Laufe des 15. Jahrhunderts unter dem Einfluss antihabsburgischer Bewegungen auf, zum einen in der Chronistik (»Weißes Buch von Sarnen«, um 1470, das auf ältere Chroniken zurückgeht), zum andern im »Tellenlied« (früheste Fassungen nicht vor 1470/80). Mit der Chronik des Petermann Etterlin (* um 1430/40,✝ 1509) von 1507 setzt die monographische Überlieferung ein, auf 1511/12 wird das erste erhaltene »Tellenspiel« datiert. Als Gestalt einer Heiligenlegende (Bürgler Tellskapelle, 16. Jahrhundert) und Nationalheld (19. Jahrhundert) wurde Tell zur schweizerischen Symbolfigur, der auch die philologische (U. Freudenberger, »Guillaume Tell, fable danoise«, 1760; deutsch von G. E. Haller veröffentlicht unter dem Titel »Der W. Tell. Ein dänischer Mährgen«) und historische Kritik (J. E. Kopp, »Urkunden zur Geschichte der eidgenössischen Bünde«, 2 Bände, 1835-51) nichts anhaben konnte.Allen Überlieferungen gemeinsam ist die Apfelschussszene und die Tötung Geßlers; während frühere, in einzelnen Liedfassungen erhaltene Varianten eine unpolitische Motivation des Schusses (die Prahlsucht des Schützen) geben, versucht die Chronik des »Weißen Buchs« erstmals, die Tell-Geschichte mit dem Freiheitskampf der Innerschweizer zu verbinden. Ihre verbindliche Fassung erhält sie in Aegidius Tschudis »Chronicon Helveticum« (1550, überarbeitet 1569/70; gedruckt 1734-36, 2 Bände) und schließlich in Johannes von Müllers »Geschichten der Schweizerischen Eidgenossenschaft« (5 Bände, 1786-1808) - beide Werke dienten als Quellen zu Schillers Drama »W. Tell« (1804), das bis heute maßgeblich das schweizerische Nationalgefühl geprägt hat.Vor und nach Schiller erlebte die Figur Tells zahlreiche literarische Bearbeitungen: die aufklärerischen Tell-Dramen der Schweizer Samuel Henzi (* 1701, ✝ 1749; »Grisler ou l'Helvétie délivrée«, entstanden 1748, gedruckt 1762 unter dem Titel »Grisler ou l'ambition punie«), Johann Georg Zimmermann (* 1728, ✝ 1795; »W. Tell«, 1779) und Johann Ludwig Ambühl (* 1750, ✝ 1800; »W. Tell, ein schweizerisches Nationalschauspiel«, 1792), des Franzosen Antoine-Marin Lemierre (* 1723, ✝ 1793; »Guillaume Tell«, Uraufführung 1766, gedruckt 1767), die Tell-Oper A. E. M. Grétrys (1791) im Geiste der Französischen Revolution, im 19. Jahrhundert G. Rossinis »Guillaume Tell« (1829) im Sinne des Risorgimento. In J. Gotthelfs Erzählung »Der Knabe des Tell« (1846) erscheint das Thema der Buße. L. Uhland nimmt in seiner Ballade »Tells Tod« (1831) das alte legendenhafte Motiv des Opfertodes auf. Besonders intensiv ist die Auseinandersetzung mit dem Stoff in Zeiten der Bedrohung: zur Zeit des Ersten Weltkriegs in René Morax' (* 1873, ✝ 1963) Musikschauspiel »Tell« (1914; Musik von G. Doret) und C. A. Bernoullis »Der Meisterschütze« (1915), in der Zwischenkriegszeit in J. Bührers von weltbürgerlichen und sozialistischen Gedanken geprägtem »Neuen Tellenspiel. ..« (1923), in Paul Schöcks (* 1882, ✝ 1952) Dialektstück »Tell« (1923) oder M. Inglins Erzählung »Jugend eines Volkes« (1933). In neuerer Zeit setzt eine Entmythisierung des Stoffes ein, nach Fernand Chavannes (* 1868, ✝ 1936) »Guillaume le Fou« (1916) v. a. in A. Sastres »Guillermo Tell tiene los ojos tristes« (entstanden 1955, gedruckt 1962), M. Frischs Erzählung »W. Tell für die Schule« (1971) und Hansjörg Schneiders »Schütze Tell« (1975). Daneben behauptet sich nach wie vor Schillers »Tell« bei den Tellspielen von Interlaken und Altdorf als Medium schweizerischer Selbstdarstellung.F. Heinemann: T.-Bibliogr. (Bern 1907);E. Merz: T. im Drama vor u. nach Schiller (Bern 1925, Nachdr. Wendeln 1970);Quellenwerk zur Entstehung der Schweizer. Eidgenossenschaft, bearb. v. P. Kläui, 12 Tle. (Aarau 1933-1975);M. Beck: Legende, Mythos, Gesch. Die Schweiz u. das europ. MA. (Frauenfeld 1978);Hb. der Schweizer Gesch., Bd. 1 (ebd. 21980);P. Utz: Die ausgehöhlte Gasse. Stationen der Wirkungsgesch. von Schillers »W. T.« (1984);
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Tẹll, der; -s, -s [arab. tall = Hügel, Anhöhe] (Archäol.): Hügel aus in Schichten übereinander gelagerten Ruinen, die aus unterschiedlichen Zeiten der Besiedlung stammen.
Universal-Lexikon. 2012.